Stadtentwicklung Teil 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters
Martin Uhrmacher
Luxemburg ist eine mittelalterliche Gründung. Auch wenn im heutigen Stadtgebiet einzelne Ansiedlungen aus keltischer und römischer Zeit archäologisch belegt sind, gab es noch keinen Siedlungszusammenhang. Allerdings kann die in der Forschung lange umstrittene Existenz eines römischen Wachturms oder Kleinkastells auf dem Bockfelsen mittlerweile als gesichert gelten.
Das frühmittelalterliche Siedlungszentrum mit der ersten Pfarrkirche lag zwei Kilometer nördlich des heutigen Stadtkerns, in Weimerskirch, dem Zentrum einer Grundherrschaft der Abtei Sankt-Maximin vor Trier. 963 erwarb Graf Sigfrid aus dem Ardenner-Haus den Bockfelsen im Alzettebogen von der Abtei Sankt-Maximin und errichtete dort eine Burg namens Lucilinburhuc. Dieses Datum markiert den Beginn der städtischen Entwicklung Luxemburgs. Der Graf und seine Nachfolger bauten die Burg in der Folgezeit zu ihrer namengebenden Residenz aus und gründeten auch eine Stiftskirche. Zusätzlich förderten sie die auf dem Plateau vor der Burg entstehende Siedlung.
Hier traf die von Süden den heutigen Breitenweg heraufführende Straße auf die von Westen kommende römische Fernstraße Reims-Trier, die heutige Grand Rue (Groussgaass). An dieser Kreuzung entstand ein erster Markt, der spätere Altmarkt.
Das rasche Wachstum der Siedlung führte im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts zum Bau einer Stadtbefestigung, die das Plateau vor der Burg halbkreisförmig umschloss. Am Stadtplan lässt sich deutlich das städteplanerische Konzept ablesen: Vom Altmarkt aus führen die Straßen radial zu den fünf Stadttoren, während die Neumarktstraße ringförmig um den Altstadtkern herum verläuft und sich vor der heutigen Chamber zum »neuen Markt« erweitert. Hier befand sich bis 1779 die Nikolauskirche, eine bürgerliche Stiftung. Rechtlich abgeschlossen wurde der Stadtwerdungsprozess mit der Verleihung eines Freiheitsbriefes im Jahre 1244 durch Gräfin Ermesinde.
Die Stadt expandierte in der Folge weiter, und noch vor der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden vor ihren Toren das Klarissenkloster zum Heiligen Geist an der Stelle der heutigen „Cité judiciaire“ und das „Knuedeler“ genannte Franziskanerkloster, dessen Grundmauern unter der heutigen „Place Guillaume II“ liegen.
Dieses neue Siedlungsareal wurde unter Graf Johann dem Blinden mit einem zweiten Mauerring großräumig umschlossen (Baubeginn zwischen 1325 und 1340). Erstmals waren nun auch die Unterstadt Grund und das Rhamplateau im Osten der Stadt in den Verteidigungsring einbezogen.
Das im Mittelalter angelegte Straßennetz spiegelt sich noch in den ältesten Katasterplänen der 1820er Jahre zu großen Teilen unverändert wider.
Stadtentwicklung Teil 2: Von den Anfängen der Festung im 16. Jahrhundert bis zu ihrer Schleifung 1867
Martin Uhrmacher
Einen grundsätzlichen Wandel in der Stadtentwicklung brachte der Ausbau Luxemburgs zur Festung. Kaiser Karl V. begann 1545 im Krieg gegen Frankreich mit dem Ausbau der Fortifikationen. Auch innerhalb der Stadt kam es zu großen baulichen Veränderungen. So wurden die ehemalige Burg der Luxemburger Grafen auf dem Bockfelsen abgetragen und die im Krieg zerstörte Münsterabtei in den Stadtteil Grund verlegt (Baubeginn des nun „Neumünster“ genannten Klosters war 1606). Die seit 1594 in Luxemburg ansässigen Jesuiten errichteten bis 1621 mit ihrer Schule und ihrer Kirche (der heutigen Kathedrale) den größten Gebäudekomplex der Stadt.
Bis 1683 war trotz anhaltender Finanzprobleme ein gewaltiger Befestigungsgürtel auf dem Stadtplateau entstanden. Im Zuge der Arbeiten hatte man 1671 aus Furcht vor einer französischen Belagerung circa 100 Häuser im Alzettetal abgebrochen. Den enteigneten Besitzern wurden in der Oberstadt kostenlos Bauplätze zur Verfügung gestellt; gleichzeitig errichtete man auch die ersten Kasernen.
Infolge der französischen Eroberung Luxemburgs 1684 begann der Festungsbaumeister Vauban mit einem groß angelegten Ausbau der Festung. Am Standort des ehemaligen Heilig-Geist-Klosters wurde eine Zitadelle erbaut, zusätzliche Festungsanlagen entstanden auch auf den Anhöhen südlich des Petrusstales und nordöstlich von Pfaffenthal sowie auf dem Rhamplateau. Der Wiederaufbau vieler ziviler und religiöser Bauten führte zu einem völlig neuen Stadtbild, das bis ins 20. Jahrhundert prägend blieb.
1697 mussten die Franzosen wieder abziehen; Stadt und Land fielen zurück an die Habsburger. Von deren spanischer Linie fielen sie ab 1715 an die österreichischen Habsburger. Diese betrieben einen weiteren Ausbau der Festungswerke bis zum Ende des Ancien Régime und der Eingliederung Luxemburgs in die Französische Republik. Die Stadt blieb von den Befestigungen eingeschnürt und konnte sich nicht weiterentwickeln.
Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft wurde Luxemburg 1815 durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses zur »Deutschen Bundesfestung« erklärt. Eine Zäsur für die weitere Stadtentwicklung stellte der Bau der ersten Eisenbahnlinie 1858 dar: Aus militärischen Gründen erbaute man den vor der Festung gelegenen ersten Bahnhof noch aus Holz; so konnte er bei einem Angriff schnell niedergelegt werden.
Um den Bahnhof entwickelte sich recht schnell ein neues Stadtviertel, mit einer Brücke an die Oberstadt angebunden wurde.
Zum Schutz der neuen Eisenbahnlinie waren im Osten zusätzliche Befestigungen nötig. Dadurch konnten die Stadtteile Clausen und Neudorf erstmals in den Festungsbereich einbezogen und urbanistisch erschlossen werden. Eine weitere städtebauliche Entwicklung Luxemburgs war aber wegen der Festung noch immer nicht möglich.
Erst mit der 1867 auf dem Londoner Kongress beschlossenen Schleifung der Festung wurde die Stadt endlich aus ihrem Korsett befreit. Die Abtragung und Einebnung der meisten Festungswerke markierte den Startschuss zum Ausbau und Wachstum der Stadt. Sie erlebte in den folgenden Jahrzehnten einen raschen Aufschwung, der sich städtebaulich vor allem in der Errichtung von großzügigen Parkanlagen sowie neuen Stadtvierteln zeigte.
Stadtentwicklung Teil 3: 1867-1963
Michel Pauly
Seit dem frühen 13. Jahrhundert war die Stadt Luxemburg ummauert (entlang der heutigen Grabenstraße). Im 14. Jahrhundert ließ Graf Johann der Blinde die Stadterweiterung auf dem Westplateau (entlang des heutigen Boulevard Royal) sowie die Unterstädte Pfaffenthal und Grund und das Rham-Plateau in die Ummauerung einbeziehen. Diesen Mauerring verstärkten nacheinander die burgundischen, habsburgischen, französischen, österreichischen und preußischen Machthaber, die die Stadt im 19. Jahrhundert zur wichtigsten Bundesfestung des Deutschen Bundes ausbauten.
Für die Stadt bedeutete dieser mehrfache Befestigungsring eine Einschnürung, die jedes Wachstum in der Fläche verhinderte. Erst als 1867 im Londoner Vertrag die Entmilitarisierung des Großherzogtums und die Schleifung der Festungsanlagen beschlossen wurden, konnte die Stadt sich öffnen. Große Ausfallstraßen nach Longwy, Arlon, Lüttich, Trier, Metz wurden angelegt, das Plateau Bourbon auf der Südseite des Petrusstales und das Stadtviertel Limpertsberg im Norden der Stadt für den Wohnungsbau erschlossen. Im Süden der Stadt war auf dem Gebiet der Gemeinde Hollerich-Bonneweg schon 1859 das Bahnhofsgebäude gebaut worden und es hatten sich Industrieanlagen angesiedelt. Eine erste Brücke verband Stadtzentrum und Bahnhof seit 1861. Letzterer wurde nunmehr mit einer Pferdetrambahn, die 1907 elektrifiziert wurde, ebenso wie der Limpertsberg an das Stadtzentrum angeschlossen. Auf den ehemaligen Festungsanlagen im Westen der Stadt wurde ein Park angelegt, der vom französischen Landschaftsarchitekten Edouard André gestaltet wurde. Dasselbe geschah im Petrusstal und auf den Höhen oberhalb Pfaffental. Diese Parkanlagen stellen nicht nur bis heute die grüne Lunge der Stadt dar, sondern hatten auch zum Zweck, den Verfall der Immobilienpreise auf dem nunmehr zur Verfügung stehenden Gelände, zu dem die 177 ha Festungsanlagen sowie das gesamte Glacis gehörten, zu bremsen. Der Erlös aus dem Verkauf der Bauplätze auf den ehemaligen Festungsanlagen, auch im Stadtzentrum, wurde zwischen Stadtverwaltung und Staat geteilt. Die Kasernen und etliche andere Militärgebäude wurden für Hospize, Waisenhäuser oder Verwaltungszwecke umgenutzt. 1903 konnte eine zweite Brücke, die mit dem damals weitesten Steinbogen die Ringstraße um das ehemalige Stadtzentrum mit dem Bahnhof verband, eingeweiht werden.
Die rege Bautätigkeit verlangten eine Stadtplanung, für die seit 1901 auf die Kompetenz des deutschen Architekten Hermann Josef Stübben zurückgegriffen wurde, dessen Pläne für das Bahnhofsviertel und Limpertsberg aber nicht 1:1 umgesetzt wurden. Diese Stadtviertel wuchsen nach und nach mit dem alten Stadtzentrum zusammen. Während die Unterstädte Handwerkerviertel blieben, wo fortan der Durchgangsverkehr ausblieb und somit das soziale Niveau eher sank, entwickelte sich der Westen der Stadt, insbesondere das locker bebaute Viertel Belair, zum Wohnbezirk der Bourgeoisie.
Da die Nachbargemeinden Bonneweg-Hollerich, Rollingergrund, Hamm und Eich zum Teil schneller gewachsen waren als die Stadt Luxemburg, wurden sie 1920 per Gesetz in die Hauptstadt eingemeindet: Deren Territorium wuchs von 335 ha auf 5100 ha, die Einwohnerzahl stieg von 21.000 auf 46.000.
Hatte der Erste Weltkrieg Bombenschäden in Clausen, im Bahnhofsviertel und in Bonneweg verursacht, trafen im Zweiten Weltkrieg die Bomben der Alliierten vor allem das Viertel Bonneweg wegen seiner Nähe zum Güterbahnhof. Hier waren nach 1945 größere Neubauten notwendig. Während des Kriegs planten die nationalsozialistischen Besatzer aus Luxemburg ein «Kulturbollwerk des Deutschtums im Westen» zu machen und beauftragten den deutschen Architekten Hubert Ritter mit Plänen für Theater, Museum und Paradeplatz. Er sah u. a. vor, die Stadt mittels Brücke mit dem Kirchberg zu verbinden.
Dieser Plan wurde aber erst ab 1961 umgesetzt, weil der Luxemburger Staat seine Kandidatur als Sitz der EWG-Institutionen gestellt hatte. Die nötigen Büroräume sollten auf dem Kirchberg-Plateau zur Verfügung gestellt werden.
Inzwischen waren in den wirtschaftlich so erfolgreichen 1950er Jahren und unter dem demographischen Druck des Nachkriegs-Babybooms neue Wohnviertel am Rand der Stadt entstanden: Gasperich, Cessingen, Fetschenhof-Cents, … , während andere wie Belair, Merl, Dommeldingen, Beggen, … sich weiter ausdehnten. Dazu trug u.a. auch die Wohnungssuche der immer zahlreicheren Beamten der EGKS bei. In der Altstadt hingegen mussten viele Altbauten modernen Betonbauten mit Büroräumen weichen, da der Gedanke des Denkmalschutzes nur sehr langsam und oberflächlich durchgesetzt wurde.
Stadtentwicklung Teil 4: 1963-2019
Michel Pauly
Mit dem Bau der sog. Roten Brücke, deren Grundstein 1963 gelegt wurde und die seit 1966 das Stadtzentrum mit dem Plateau Kirchberg verbindet, wurde ein neues Zeitalter in der Stadtentwicklung eingeläutet. Da im Stadtzentrum kein Bauterrain für größere Verwaltungsgebäude mehr zur Verfügung stand und die Außenviertel eher Wohnzwecken dienten, sollte der Kirchberg die nötigen Bürogebäude für die europäischen Institutionen aufnehmen. Damit bekräftigte Luxemburg auch architektonisch seine Ambition als eine der Hauptstädte der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Mit der Erschließung des Areals von 360 ha wurde eine staatliche Aktiengesellschaft beauftragt, der Fonds d’Urbanisation et d’Aménagement du plateau du Kirchberg (FUAK), der die gesamte Fläche enteignen ließ. Die Trierer Autobahn, die direkt ins Stadtzentrum mündete, verbindet seither das Neue Theater mit dem ersten, 23-stöckigen Hochhaus der Stadt, das die Dienste der EWG-Kommission beherbergte, teilte aber auch das gesamte Plateau in zwei. Auf beiden Seiten der Autobahn entstanden zunächst architektonische Monolithen, bis der FUAK seine urbanistische Vorgehensweise in den 1990er Jahren radikal änderte und ein echtes Stadtviertel zu planen begann, das heute Finanz- und Kulturinstitutionen, EU-Behörden, ein Klinikum, ein Kinokomplex und ein Geschäftszentrum, aber keine Kirche und nur wenig Wohnhäuser umfasst. 2019 gibt der FUAK die Zahl der Arbeitsplätze mit 41300, die der Einwohner mit 3800 an. Vor allem haben sich auf Kirchberg neben den EU-Behörden Banken, internationale Anwaltskanzleien und Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in ihrem Selbstverständnis gemäßen Großbauten angesiedelt. Insofern ist der Kirchberg heute der Knotenpunkt, der die Stadt Luxemburg zumindest auf dem Finanzweltmarkt zur global city macht.
Die u.a. dort geschaffenen Arbeitsplätze bedingten einerseits Maßnahmen zur Förderung des öffentlichen Nahverkehrs: der Kirchberg wurde 2017 als erstes Stadtviertel an die neue Trambahn und mittels Standseilbahn an das Zugnetz angeschlossen, da viele Arbeitnehmer Grenzgänger sind. Andererseits mussten in den anderen Stadtvierteln massiv Wohnungen gebaut werden. Stadtviertel wie Mühlenbach, Cessingen oder Cents erhielten in den 1960-70er Jahren noch eigene Pfarrkirchen. Nichtsdestoweniger kann im 21. Jahrhundert wegen der steigenden Bauplatzpreise der Wohnungsbau nicht mit der Nachfrage Schritt halten. Das alte Stadtzentrum hingegen entwickelte sich im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zum reinen Einkaufzentrum, in dem kaum noch Menschen wohnen und abends die Straßen leer sind, während die neuen Einkaufzentren, die in Nachbargemeinden wie Strassen, oder auf Kirchberg und 2019 auf Cloche d’Or entstanden, den kleineren Läden im Stadtzentrum heftig Konkurrenz machen. Auch das 1604 gegründete Athenäum verließ schon 1964 das Stadtzentrum. Für die wachsende Schülerzahl wurden in Merl-Belair und auf Limpertsberg neue Sekundarschulen errichtet.
Als Gegenstück zum Kirchberg im Nordosten der Stadt mit Anbindung an die Trierer Autobahn wurde im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts das neue Stadtviertel Cloche d’Or im Süden der Stadt mit Anbindung an die Autobahn nach Thionville und Metz geplant. Dabei wurden die anfänglichen Fehler von Kirchberg wiederholt, d.h. dem individuellen Auto absolute Priorität zugestanden. Während auf Kirchberg Trambahn, Fahrradwege und Fußgängerwege durch die Parkanlagen mittlerweile von einem urbanistischen Umdenken zeugen, wird die Trambahn erst in ein paar Jahren das neue Stadtviertel mitsamt Fußballstadion ans Stadtzentrum und an das Zugnetz anbinden, während der neue Stadtpark erst in Planung ist und die breiten Straßen mit den Großbauten von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Handelszentrum, Feuerwehrkaserne und Schulen nicht zum Flanieren einladen.
Von der Stadtverwaltung angedacht sind die Urbanisierung des Autobahnendes an der Ausfahrt nach Esch, die Industriebrachen zwischen Eisenbahn und Hollericher Straße sowie in Dommeldingen, das Gelände des bisherigen Fußballstadions und der Feuerwehrkaserne, doch spruchreif ist noch keines dieser Projekte.